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DIE ZEIT/Modernes Leben, Nr.44, 29.Oktober 1982, S.64

© 1982 DIE ZEIT und Dieter E. Zimmer

 

 

Die Furcht vor Fachausdrücken

Nur nicht zur Sache

Von Dieter E. Zimmer

 

VIELE  JAHRE  tobte der Kampf der Margarine-Industrie gegen die Butter. Vor allem der Unilever-Konzern, der in seinen verschiedenen Marken etwa drei Viertel aller in Deutschland gegessenen Margarine mischt, hat es in Werbekampagnen, wissenschaftlichen Gutachten und juristischen Schriftsätzen immer wieder unters Volk zu bringen versucht: Wer seinem Herzen etwas Gutes tun will, meide Butter und esse unsere Produkte. Erst als die Margarine-schützt-vor-Herzinfarkt-Theorie von der medizinischen Forschung gründlich angenagt war, nahm er die Botschaft ein wenig zurück. Und nun, o Wunder, präsentiert er plötzlich eine neue Margarine, „Bonella“ heißt sie, die zu mehr als 60 Prozent aus Talg besteht und damit aus eben jenen tierischen Fetten, die doch angeblich so ungesund waren. Auch der Begriffsstutzigste müsste es nun merken: Nicht um die Gesundheit ging es der Margarine-Industrie, sondern um Marktanteile.

Doch nicht von diesem Margarine-Butter-Zwist soll hier die Rede sein, obwohl der eine Kriegsberichterstattung durchaus verdient hätte. Hinab zu den Fußnoten! Ich sitze also beim Frühstück und höre im Radio ein Morgenmagazin. Zu Gast im Studio ist der Ernährungswissenschaftler Hans-Jürgen Holtmeier. Er sagt etwa das Obige: Da habe die Margarine-Industrie aber einen erstaunlichen Schwenk vollzogen; das Gesundheitsargument in der Margarinewerbung sei immer verfehlt gewesen; ein jeder esse, was ihm besser schmeckt. Gerne erführe man nun, was die frühere Margarine enthalten oder nicht enthalten hatte und die neue enthält oder nicht enthält.

Dann können sich Hörer telephonisch zu Wort melden. Einige Kinder dürfen erklären, was sie sich lieber aufs Brot schmieren. Plötzlich ist ein Herr am Telephon: Es ist einer der führenden Unilever-Forscher. Nun, denke ich, wird’s aber spannend. Er sagt zwei, drei allgemeine Sätze, dann will er zur Sache kommen. Er kommt gerade einen Atemzug weit, bis zum Wort „ungesättigte Fettsäuren“. Erschrocken unterbricht ihn der Moderator: Bitte keine Expertendiskussion. Nur auf Holtmeiers Intervention hin darf er wenigstens seinen Satz zu Ende bringen.

Wäre dies ein Einzelfall, man brauchte kein Aufhebens davon zu machen. Aber ähnliches widerfährt einem in den deutschen Medien immer und immer wieder: Gerade wo sie interessant würde, endet die Mitteilung – denn sonst müßte man dem Zuhörer oder Zuschauer oder Leser ja so grauenerregende Wörter wie „ungesättigte Fettsäuren“ zumuten. Bloß das nicht.

Die Abneigung trifft keineswegs alles, was man in der Grundschule nicht gelernt hat; sie trifft vor allem Ausdrücke aus den Naturwissenschaften. Jeder Politikleser hat zu wissen, was MBFR oder SALT oder START ist. Am Tag des „konstruktiven Mißtrauensvotums“ zeigte eine Straßenumfrage des Rundfunks zwar, daß kaum ein Passant in Bonn auch nur annähend wußte, was das eigentlich ist; aber wer wird den Begriff darum meiden wollen? Natürlich, dann könnte man ja gar nichts mehr sagen. Jeder Wirtschaftsleser muß etwas mit der „monetaristischen Geldmengenpolitik“ anfangen können, jeder Feuilletonleser etwas mit einem „filmischen Gründerzeitbarock“ und einem „ästhetischen Mehrwert“. Sportteilleser werden schon wissen, was eine „Abfälschung durch den Vorstopper des Zweitligisten“ ist. Wer je eine Einkommensteuererklärung ausfüllt, hat ein dringendes Interesse, den „hälftigen Abzug der den Grundhöchstbetrag übersteigenden Vorsorgeaufwendungen“ zu begreifen: Es geht um sein Geld. Und die um ihre Fältchen besorgte Kosmetikkundin verreibt gläubig das „native Collagen“ (von einem „natürlichen Bindegewebsleim“ verspräche sie sich weniger). Alles das darf sein, muß sein, wer wollte jedesmal alles erst erklären? Nur sollen bitte nicht auch noch die Naturwissenschaften kommen mit ihren gar noch mehrfach ungesättigten Fettsäuren und den Wenns und Abers hintendran.

Fachausdrücke nur aus Renommiersucht sollten wirklich gescheut werden. Und jeder, der sein muß, sollte erklärt werden – selbst die Kollegen Professoren sind drauf angewiesen, wo es nicht um ihr Spezialgebiet geht. Aber manche Begriffe müssen eben sein. Ohne sie läßt sich die betreffende Sache nicht denken, gibt es keine Auskunft darüber, keine Diskussion, keine Verständigung. Ohne sie läßt sich nicht einmal ausmachen, welches die Fragen sind, die einen angehen.

Weder über Kernreaktoren noch über die Langzeitwirkungen von Schlafmitteln noch über die Batteriehaltung von Legehennen wird sich die Öffentlichkeit auch nur das mindeste Bild machen können, wenn sie beim ersten ungewohnten Begriff nicht etwa zurückfragt oder zum Lexikon greift, sondern zusammenzuckt und abschaltet.

Aufklärung, sagte ein berühmter deutscher Philosoph mit K (Kreuzworträtsel nämlich dürfen, ja sollen einem noch etwas abverlangen, sogar Fettsäuren), sei der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Das war ungerecht von ihm – die Menschheit hat sich ihre Ignoranz schließlich nicht mutwillig zugelegt. Aber die Devise „Um Himmels willen nichts, was irgendwie nach Wissenschaftssprache aussieht!“ führt geradewegs in die selbstverschuldete Verblödung.

 

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